Eine Erzählung von und für Mamas

Freitag, 24. Juni 2011

Shopping Mum

8. Es ist Samstag. Genau genommen ist es mittlerweile Samstagmittag, was bekanntlichermaßen die absolute Horrorzeit für einen Stadtbummel ist. Um mich herum sehe ich nichts als Muster. Gerbera in Pink und Orange auf Senfgelb, braune Tupfen auf Unterhosen-Bleu, Batikfantasien in allen Farben des Regenbogens. Nein, ich bin nicht in der Teppich- und Tapetenabteilung von Karstadt gelandet, sondern auf der Suche nach neuen Umstandsklamotten. Stehe in der Mama-Abteilung eines von meiner aktuellen Schwangerschaftszeitschrift empfohlenden Mutter-und-Kind-Tempels und bin den Tränen verdammt nahe – so viel Geschmacklosigkeit auf einem Haufen hab ich echt noch nie gesehen. Die Hersteller dieser modischen Beleidungungen müssen der Ansicht sein, das schwangere Frauen vor lauter Gefühlsduselei nicht mehr klar geradeaus gucken können, ihren guten Geschmack gemeinsam mit der ersten Urinprobe beim Frauenarzt abgegeben haben und aufgrund des unproportional gestiegenen Hormonpegels total balla balla sind. Sorry, aber seit wann ist ein braunrot-kariertes Viermannzelt KLEIDSAM? Auch wenn ich mich so rein figurtechnisch langsam aber sicher den Ausmaßen eines Nilpferdes nähere, will ich doch noch lange nicht rumlaufen, wie eine Bühnenkulisse vom Musikantenstadl! Und bitte, welcher Teint erinnert in Senfgelb nicht an eine schlimme Magen-Darm-Infektion? Mal abgesehen davon, was eine Bilderbuchschwangere so in ihrem heimischen Garten trägt, müsste doch jede moderne Frau einen einigermaßen passablen Look beibehalten können. Auch ich sollte nicht unnötig Cassandras Launen mit der Zurschaustellung modisch absolut indiskutabler Outfits herausfordern, schließlich muss ich täglich Bianca-Fashion repräsentieren und wenigstens so tun, als ob ich über ein gewisses Modebewusstsein und das entsprechende Portemonaie für dessen Umsetzung verfügen würde (nein, Yvonne und ich bekommen selbstverständlich KEINE Outfits von der Firma gestellt!). Okay, okay, ganz ruhig, erstmal setzen und ein Schlückchen trinken – nicht, dass ich hier auch noch inmitten der aus Restbeständen und ohne Frage unter größtem Alkoholeinfluss zusammengeklöppelten „Kreationen“ zusammenklappe, man dehydriert ja so ungemein schnell! Vielleicht sollte ich doch nochmal rüber zu C&A gehen, angeblich haben die ja eine gar nicht ganz so schlechte Auswahl – behauptet jedenfalls Schwiegermutti Ursel. Und die weiß das wiederum von ihrer Nachbarin Gisela, deren Schwiegertochter erst kürzlich und ganz ohne PDA (hört, hört) ein propperes Söhnchen ans Tageslicht gepresst hat. Im Grunde reicht es ja eigentlich auch, wenn ich eine einigermaßen passable, am besten schwarze (macht schlank und passt zu allem) Hose ergattern würde, in der nicht nur mein Hintern, sondern auch mein stetig wachsendes Bäuchlein ausreichend Platz findet. Bis jetzt bin ich locker mit meinen normalen Hosen ausgekommen, habe einfach den obersten Knopf aufgelassen und die beiden Seitenteile mit einem Gummiband verbunden, damit mir die Buchse nicht mitten im Showroom bis an die Knöchel rutscht. Ein stylische Tunika von H&M obendrüber gezogen und das Ganze mit einer baumeligen Kette aus bunten Glasperlen und/oder einem frechen Gürtel aufgepeppt, und fertig war das perfekte Bauch-weg-geschummelt-Outfit. Doch so langsam aber sicher lässt sich dieser stramme Kugelbauch einfach nicht mehr in den normalen Hosen verstecken. Mal abgesehen davon, dass das Baby sich anscheinend ein richtig schmuckes Penthouse einrichtet und meine Taille einfach mit in Beschlag nimmt. Beim Sitzen kneift mittlerweile nämlich auch ein noch so großzügig mit Gummibändern erweiterter Bund, und wenn ich den Reißverschluss auch nur einen Milimeter weiter auflasse, können Hinz und Kunz in der Fußgängerzone schon von weitem das Muster meines Schlüpfers bewundern! Nein, ich komme um eine Umstandshose mit praktischem Elastikbund echt nicht mehr herum. Am besten, ich bestelle Laura zur Beratung dazu. Sie drängt ja sowieso schon seit Wochen darauf, mir als persönliche Einkaufsberaterin zur Seite zu stehen. „Du, ich war jetzt grad beim Yoga, aber ich kann gerne zu dir in die City kommen!“ hechelt Laura in ihr Handy. Ist wohl mal wieder mit dem Rad unterwegs. Bei soviel Elan und Sportlichkeit sinkt meine ohnehin schon überaus schlechte Laune gleich noch ein Stück weiter ins Untergeschoss. Scheiße, wenn man nicht in der richtigen Stimmung ist, sollte man ja eigentlich gar nicht erst Shoppen gehen. Weiß man ja. Da landen entweder ausschließlich Teile in den Einkaufstüten, die man eh schon en masse zu Hause im Schrank hängen hat (bei mir sind das immerwieder Strickjacken in Schwarz oder Hellgrau. Und weiße Blusen). Oder man bildet sich ein, just heute mal was ganz Verrücktes ausprobieren zu müssen und greift zielsicher zu dem ausgefallendsten Teil, das zu finden ist und das – wäre man heute nicht zufällig vorbeigekommen – garantiert als Restposten auf dem Grabbeltisch geendet wäre. Zu Hause angekommen, stellt man dann meistens fest, dass man von dem Mustermix/der Farbe/dem Schnitt fast ohnmächtig wird oder aber das Fähnchen beim besten Willen hinten und vorne nicht passt. Klassische Fehlkauflaune also. Wie sich die wohl im Zusammspiel mit Schwangerschaft äußert? Am besten, ich verlasse diesen Stuhl in der wildgemusterten Mama-Abteilung erst gar nicht, bevor Laura da ist. Sicher ist sicher. Und so schlimm, dass ich auf die absurde Idee käme, mein Geld an Ort und Stelle in eine Sesselhussen ähnliche Tunika mit tellergroßem Sonnenblumenmuster zu investieren, steht es um mich Gott sei dank ja noch nicht.

Als Laura endlich auftaucht, döse ich so vor mich hin und zähle die Fusseln auf dem ehemals hellbeigen Teppichboden vor mir. „Was ist denn DAS?“ kreischt sie entsetzt los, als sie schräg hinter mir die an Seidenmalerei erinnernde Bluse Modell „Veronika“ entdeckt. „Oh mein Gott“, murmelt sie betroffen als sie sich im Laden umsieht und zieht mich hastig raus auf die Straße, zurück ins Leben. „Hör mal Süße, da gehst du mir nie wieder rein, hörst du? Selbst, wenn man vorher noch gut drauf war, holt man sich da ja mindestens eine mittelschwere Depression! Dass die da auch noch GELD für verlangen dürfen!“ Und dann müssen wir beide so anfangen zu lachen, dass ich mir fast ein paar Troppen in die Hose piesle. „Und ich dachte schon, es liegt an mir und meiner miesen Laune“, keuche ich erleichtert. „Miese Laune? Na komm, das ändern wir sofort. Erstmal gönnen wir uns jetzt ein sündhaft dickes Eis und dann finden wir ein paar heiße Klamotten für dich, versprochen!“ Ach Marie ist ein Schatz, es tut ja so gut, eine liebe Freundin zu haben. Und die Umstandsabteilung bei C&A erweist sich tatsächlich als gar nicht so übel, schönen Gruß an Ursels Nachbarin. Klar, auch hier haben sich die ein oder anderen Blumenbouquets auf zeltähnliche Textilien verirrt, aber grundsätzlich finden sich auch wirklich nette Teilchen dazwischen. Ein Babydoll-Kleid in Altrosa mit süßer bourdeauxroter Spitze am Dekolleté, zwei langärmelige Stretchshirts mit Cache-Coeur-Ausschnitt sowie ein knieumspielender (ha!) Rock mit elastischem Gummibund habe ich mir bereits gesichert und an der Kasse hinterlegt. Fehlt nur noch die besagte Hose. Und obwohl es eine relativ große Auswahl gibt, stellt sich die Hosenfrage als problematischer heraus, als erwartet. Denn Schwangerschaftshosen fangen im Grund erst da so richtig an, wo andere Hosen aufhören. Damit das Bündchen den kostbaren Bauchbewohner nicht einschnürt, hört der eigentliche Hosenstoff (Stretch, Jeans oder was weiß ich) auf Schlüpferhöhe auf. Und dann, ja dann folgt erst der eigentliche Gag an der ganzen Sache: Im Hosenbund ist sozusagen ein riiiiiesen Wollstrumpf festgenäht, der je nach Schwangerschaftsmonat ungefähr bis kurz unter den Busen oder auf Nabelhöhe reicht. Soll die Hose vorm Absturz bewahren und den Bauch schön warm halten. Die Idee an sich ist ja nicht verkehrt, aber alleine die Vorstellung von diesem wollenden Stretchriesendings um meinen Bauch... und das auch noch im HOCHSOMMER. Außerdem – und das finde ich fast noch schlimmer – passt mir keine von diesen strumpfigen Hosen. An den Beinen schön eng (hatte da eine ganz süße Jeans in der engeren Auswahl), schlabbert mir oben dieses Strumpfteil total gelangweilt irgendwo unter den Achseln rum, weil mein Bauch noch nicht dick genug ist. „Und wenn du die erst später kaufst?“ überlegt Marie tapfer, „in zwei Monaten müsstest du dann doch eigentlich reinpassen.“ Aber in zwei Monaten passt dann unten mein Hintern wahrscheinlich nicht mehr rein. Das komische an einer Schwangerschaft ist ja, dass sich der Körper in die ungeahntesten Richtungen völlig unkontrolliert ausdehnt. Von einen Tag auf den anderen hast du plötzlich Oberarme wie Cindy aus Marzahn. Und wo gestern noch ein disziplinierter Taillenansatz war, herrscht heute Anarchie. Nee, so in die ungewisse Zukunft hineinkaufen, das trau ich mir jetzt nicht. Also weitersuchen. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns für eine schwarze Stretchhose, die untenrum eigentlich genauso aussieht, wie die Modelle die ich seit Jahren trage, nur dass sie oben am Bündchen „mitwachsen“ kann. Gott sei dank hat sie nicht so eine schlimme Wollsocke obendran, sondern lässt sich mit Hilfe von fünf Knöpfen auf jeder Seite und einem zusätzlichem Gummizug ganz nach Belieben dem jeweiligen Bauchumfang anpassen. Toll, die nehmen wir! „Hat sie auch Taschen am Po? Du darfst nie, NIEMALS, Stretchhosen ohne Taschen am Po kaufen! Das hat sogar Cameron Diaz eine Negativschlagzeile eingebracht. Steht einfach keinem.“ bekräftigt Laura. Die Wunderhose weist tatsächlich zwei nette Taschen am Hintern auf und somit verlassen wir erschöpft aber glücklich nach gefühlten fünf Stunden die Mutti-Abteilung von C&A. Mann, jetzt bin ich aber auch echt fertig. Nix wie nach Hause und hoch mit den geschwollenen Füßen. Offensichtlich hat Laura für heute auch genug vom Shoppen, denn sie würdigt das Schaufenster von Mango keines Blickes. Stattdessen kommt sie noch auf ein Gläschen Eistee mit zu mir, denn sie will mir noch irgendeine weltbewegende Neuigkeit von ihrem Schätzchen, dem Gregor, erzählen.

7. Dr. Brinkmann

Es war meine Examensparty. Der ganze Jahrgang, sämtliche Mitbewohner, Lover und Gaststudenten feierten in der mit Büchertausch- und Mitbewohnersuchzetteln tapezierten Cafeteria unseres Instituts. Für das Büffett hatten wir selbst gesorgt. Es bestand aus einer unglaublich süßen Bowle, in der mindestens je zwei Flaschen Rum, Cola und Sekt versenkt worden waren, jede Menge Dr. Oetker-Kuchen, Chips und Erdnussflips, Negerküssen und vier bis zehn Kisten Bier von Aldi – so genau kann ich das jetzt nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, ob es die Kirschkerne in der Bowle oder die Mischung von Negerküssen, Wienerle und Erdnussflips war, aber kurz nach Mitternacht spielte mein Verdauungstrakt verrückt. Erst dachte ich, es wären typisch weibliche Krämpfe, kennt man ja, so unten rechts. Deswegen genehmigte ich mir noch einen Becher Bowle – Alkohol soll ja ungemein entspannend wirken! Leider fand ich mich bald gekrümmt zwischen den klebrigen Plastikhockern wieder, konnte vor Schmerz kaum noch sprechen und registrierte noch dazu aufsteigende Übelkeit. Im Rausch hab ich dann ehrlich gesagt nicht mehr viel mitgekriegt. Irgendwie haben es meine alkoholisierten Partykollegen geschafft, einen Krankenwagen zu rufen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, registrierte ich einen richtig miesen Kater – so mies, dass ich nicht glauben konnte, was ich um mich herum sah: Einen dünnen Schlauch im rechten Handrücken, ein dazugehöriger Tropf, der an einer Art Garderobenständer am Kopfende meines zartgelb getupften Bettes baumelte, das gar nicht mein Bett war. Mein Bauch spannte immernoch wie verrückt. Ein gezielter Blick unter die Bettdecke verriet zweierlei. Erstens: Ich war total nackt (und nur so mittelgut rasiert). Und Zweitens: Ich hatte in dreieckiger Anordnung weiße Pflaster unterhalb des Nabels kleben und einen Bauchumfang wie Rainer Calmund. Dann eine mir bekannte gelangweilte Stimme: „Hallo Schatz, ist alles in Ordnung. Es war der Blinddarm.“ Neben dem Bett saß meine Mutter auf einem senfgelben Plastikhöckerchen, blätterte in der aktuellen Vogue und tätschelte ohne aufzusehen meine zartgelb getupft bedeckten Füße. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, ging die Zimmertür auf und ein ganzer Schwarm von Weißkitteln kam hereinmarschiert. Wie beim Käptn’s Dinner auf dem Traumschiff. Aber statt Torte wedelten einige der Herren bloß mit Klemmbrettern oder Zetteln, zwei hatten ein Stetoskop und einer noch den papiernen Mundschutz vom OP am Hals baumeln. „So, dann wollen wir doch mal sehen!“ sprach der vorderste mit merkwürdig tiefer Stimme und zog mir mit einem Rapsch die Bettdecke weg. Ich hab geglotzt wie schockgefrostet. Schließlich lag ich total nackig da, mit einer Frisur wie ein geölter Haubentaucher und einem Geschmack im Mund, als hätte ich die ganze Nacht an einer siffigen Wolldecke genuckelt. So hilflos kam ich mir vor wie zwölf. „Na, das sieht doch prima aus! Die Herrschaften da hinten mal nicht so schüchtern, kommen sie ruhig näher. Und Sie wechseln bitte die Pflaster“, ordnete der Obermufti an und deutete mit dem Bügel des goldenen Brillengestells, auf dem er ständig herum kaute, auf den Weißkittel mit dem Mundschutz. „Guten Morgen, Brinkmann mein Name“, stellte dieser sich etwas kleinlaut vor und begann sogleich, an meinen Pflastern rumzufummeln. Brinkmann? Wollen die mich hier verarschen? Ich meine, so einen beschissenen Kater hatte ich ja echt noch nie! „Gut, gut, wir gehen dann schonmal in die Achtzehn!“ verabschiedete sich der Käptn und scheuchte seine Schäfchen weiter ins Nebenzimmer. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie sich meine Mutter ihr Dekolleté zurechtzupfte, irgendetwas faselte und ohne sich von mir zuverabschieden hinter dem Goldbrillenmann herwackelte. Mir wurde klar, dass es sich hier wohl doch um die Realität handeln musste. „Der Blinddarm wurde Ihnen endoskopisch entfernt, also durch drei kleine Einschnitte und mit Hilfe einer winzigen Kamera“, nuschelte der an meiner Bettkante zurück gelassene Dr. Brinkmann in meine Muschi. „Es werden nur winzigkleine Narben zurückbleiben. Allerdings muss die Bauchhöhle bei dieser Methode mit Luft aufgeblasen werden, ähnlich wie ein Luftballon, daher das Spannungsgefühl. Wenn Sie sich in den nächsten Tagen ausreichend bewegen und viel trinken, wird die Luft jedoch schnell entweichen,“ sprach der OP-Mann weiter und drehte sich zu mir um. Gott, was hatte ich bloß getrunken? Und was war in diesem Tropf? Ich hätte schwören können, dass der Herr Brinkmann hier aussah wie mein sexy Surferboy aus Ibiza! Aber in meinem zugegebenermaßen optisch nicht viel hermachenden Zustand und vor allem, nachdem dieser gutaussehende Jungarzt soeben die Lockenpracht meiner zugewucherten Bikinizone studiert hatte, brachte ich weiß Gott nicht den Mut auf, einen auf „Hey, ich kenn dich doch!“ zu machen. Und wie ich so paralysiert dem Arzt ins Gesicht glotzte, passierte es: Ein großer Schub Luft entwich aus meinem Bauch. Na super, ich treffe meine große Liebe wieder und furze wie ein Bauarbeiter! Dr. Brinkmann drehte sich abrupt weg und verließ den Raum, ward erstmal nicht wieder gesehen. Nachdem ich den ersten Schock überstanden, Restalkohol (nie wieder Bowle!) und Narkose (Drogen!) ausgedampft und den ganzen restlichen Tag verschlafen hatte, fühlte ich mich stark genug für eine Ganzkörperreinigung und stieg mit Hilfe einer Schwester in die winzige 70er Jahre-Dusche. Mit apfel-duftigen Haaren (meine Mutter hatte mir eine komplett neue Kosmetikausstattung beim Drogeriemarkt um die Ecke besorgt) und dem eigenen Nachthemd am Leib fühlte ich mich wieder richtig frisch. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte die nette Schwester über das mir soeben kredenzte Tablett mit Wellblechbrotscheibe, Schlabbergürkchen und Gummikäse hinweg über die bahandelnden Ärzte im Allgemeinen und Dr. Brinkmann im Speziellen aus. Wie ich erfuhr, war er seit gut einem Jahr Nachwuchschirurg in der Klinik und als solcher bei meiner OP dabei gewesen, so so. Stammte ursprünglich aus Hamburg und war eben jetzt in München. „Und er ist der absolute Schwarm im Schwesternzimmer“, kicherte sie. „Abwarten“, dachte ich, und stellte meinen Wecker auf 6 Uhr, damit mir vor der nächsten Visite Zeit für in kleines Beautyprogramm blieb. Frisch gewaschen und gebügelt erwartete ich am nächsten Morgen das Käptn’s Dinner und begrüßte die Crew mit einem leicht wimpernbetuschten, lipglossigen Lächeln in zartrosé (Nude-Look!). Dieses Mal war es der Herr Jungdoktor persönlich, der einen Pflasterwechsel anbot und emsig an meiner Südseite zu nesteln begann. Und ja, ich hatte mich nicht geirrt. Bei näherer Betrachtung (Hände, Haaransatz, süße Ohrläppchen) war klar: Das ist mein Surferboy! Um mich war es erneut geschehen. Dr. Brinkmann schien mich wohl auch wiedererkannt zu haben, schaute von da an regelmäßig in meinem Zimmer vorbei und entließ mich erst, als er mich zu einem Date überedet hatte. Nicht, dass es da viel zu überreden gegeben hätte! Aber frau soll sich ja selten machen, nicht leicht zu haben und immer quasi auf dem Sprung sein – auch wenn sie in Wahrheit natürlich längst nur auf einem Sprung, und zwar auf dem in seine Laken ist und gedanklich bereits ein dafür geeignetes Dessous-Ensemble ausgewählt hat! Aus dem einen Date wurden viele und der damalige Sommer mein absoluter Lieblingssommer. Und weil ich am 25. Mai auf Ingos OP-Tisch gelandet war, feiern wir seit dem jetzt immer an diesem Datum unseren Wiedergefundentag. Ich hatte ihn übrigens bereits bei unserem ersten Date wegen seines mistigen Abgangs in Ibiza zum absoluten Arschloch erklärt und ihm mitgeteilt, auch ich hätte keine Sekunde mit dem Gedanken gespielt, dass diese Nacht am Strand auch nur im Ansatz eine Nuance von etwas Besonderem gehabt hätte. Schließlich erlebt man als attraktive Blondine (ahahahahaha, als ob ich mich je so sehen würde!) soetwas ja alle Tage, ha! Ha ha! Doch anstatt, dass er auf die billige Ebene einsteigen und mit einem Cool Water-triefenden Macho-Spruch à la „Hey Babe, ein Genießer geht eben dann, wenn’s am Schönsten ist“ kontern würde, sah er nur schweigend in seinen halbvollen Bierkrug und begann dann mit seiner Version vom mistigen Abgang. Er war damals mit Kumpels nach Ibiza geflogen und musste seinen bescheuerten besten Freund das ganze Wochenende auf dessen noch bescheuerteren Junggesellen-Abschieds-Sauftour durch sämtliche Strandbars und Sangria-Eimer begleiten. Als er die nächsten Tage immer wieder das gesamte Arial der Clubanlage vergeblich nach mir abgesucht hatte, ging er in guten Momenten davon aus, dass ich schon abgereist war, aber trotzdem wie er von einem baldigen Wiedertreffen träumen würde. War ich ja auch, tat ich ja auch! Aber er wusste ja nicht, wie ich hieß. Und ich wusste ja nicht, wie er hieß! An weniger rosaroten und sich mit der Zeit häufenden Tagen sah er allerdings der realistischeren Möglichkeit, dass ich ein oberflächliches Partyluder gewesen war, nur mit ihm gespielt und ihn längst vergessen hatte, ins Auge. Er hatte nach der Rückkehr von Ibiza zwei Prüfungen seines Medizinstudiums in den Sand gesetzt. Spätestens da sah ich mich gedanklich bereits im Brautkleid.

6. Souvenir aus Ibiza

Als ich am Abend total geschafft von einem nicht enden wollenden Tag im Showroom in unsere Vier-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung mit Gartenanteil komme, erwartet Ingo mich schon. Er hält mir einen Strauß vanillefarbende Rosen unter die Nase und knutscht mich ab. Kommt mir hier irgendwie Spanisch vor alles. „Los los, wir sind schon spät dran, der Tisch ist doch auf halb acht reserviert!“ Ach Du heiliger Fred, heut ist unser Wiedergefundentag! Scheiße, den hab ich total vergessen. Die Rosen sind echt schön, so flauschig. Und ich hab nicht mal Ingos Lieblingsschokolade im Haus. „Ach, Zuckerchen, du hast unser Date bei all der Hektik vergessen, oder? Ist doch nicht schlimm. Komm jetzt, die beste Pasta der Stadt wartet auf dich!“ tröstet mich der Mann und schiebt mich aus dem Haus. Er steht zwar total auf Jahrestage und sowas, ist aber Gott sei Dank nicht wochenlang beleidigt, wenn man diese Begeisterung nicht teilt. Wir zelebrieren (auf seinen Wunsch) neben Geburtstag und Weihnachten außerdem den Wiedergefunden-, den Verlobungs- und natürlich den Hochzeitstag. Mir persönlich ist das ja ein bisschen übertrieben, aber gut. Einen richtigen Kennenlerntag haben wir nicht (sehr zu Ingos Bedauern), denn wir haben uns einmal kurz getroffen, dann ewig nicht gesehen und sind uns dann per Zufall wieder über den Weg gelaufen. Und uns dann eigentlich erst richtig kennen gelernt und verliebt.
Hmm, ach wenn ich so zurück denke: Toll sah er damals aus! Die Haare von der Sonne surfermäßig aufgehellt, Dreitagebart und gesund gebräunte Haut. Als ob der grad von einer Weltumsegelung kommt. Nicht, dass er heute nicht mehr gut aussehen würde. Aber neben einem Vollzeitjob bleibt halt nicht mehr viel Zeit für Muckibude und Strandurlaub. Es passierte vor fünf Jahren im Punta-Arabi-Club auf Ibiza. Doro und ich waren kurzentschlossen für zwei Wochen dem Uni-Stress entflohen und per Last Minute in den Süden geflogen. Sie hatte mich am Nachmittag heulend und fluchend angerufen, weil sie ihren damaligen Lover (einen Lehrer) mit einer anderen (einer Schülerin) knutschend in der Stadt gesehen hatte. Noch am selben Abend saßen wir im Flieger. Wir haben uns die Nächte mit bunten Cocktails und viel schlechter Musik um die Ohren geschlagen, um tagsüber im Halbschatten eines Sonnenschirmes mit einem Monsterkater dahinzudämmern und abends erneut in einer Schaumparty zu versinken. Seit Ibiza weiß ich übrigens auch, was der Ausdruck „Urlaub vom Ich“ bedeutet. Schließlich würde man in seiner alltäglichen Umgebung nie (NIEMALS) auf die Idee kommen, sich a) nur mit einem winzigen Triangel-Bikini bekleidet in eine Disko mit Neonlicht zu begeben b) dort inmitten von seifigen Schaumbergen das Gegrapsche pickliger Teenies aus dem Ruhrpott zu erdulden und c) mit einem wildfremden – wenn auch gutaussehenden – Mann um 4 Uhr morgens alleine an den Strand zu gehen. Doro war mal wieder mit irgendeinem Kalle, Olli oder Mike Lambada tanzend in den Schaumbergen verschwunden, als ich mich halbverdurstet auf den glitschigen Weg zur Bar machte. Nachdem ich schon seit dem späten Nachmittag von aufmerksamen Clubanimateuren mit Sangria und Caipirinha versorgt worden war, war meine Trittfestigkeit weit nach Mitternacht natürlich nicht mehr die beste. Nur ein starker Griff um meine Taille rettete mich vor dem Ganzkörperkontakt mit dem Parkett. „Schön getanzt“, grinste mich mein Retter frech an, „willst du schon gehen?“ Natürlich wollte ich das nicht. Oder wenn, dann nur mit ihm. Ich setzte also umgehend das sexiestes Lächeln auf, das ich in meinem Zustand noch hinbekam, und ließ mich von Mister Surferboy erst zu einer herrlich-kühlen Cola und dann zu einem romantischen Spaziergang an den Strand einladen. Dass ich in dieser Nacht das berauschendste Sexerlebnis meines Lebens hatte, trau ich mich kaum zu sagen. Wenn andere das machen, schäme ich mich immer in Grund und Boden. Klingt so billig irgendwie. Aber es war wirklich einfach perfekt. Alles stimmte: sein Lächeln, seine nach Sonne und Après Creme duftende Haut, die Mittelmeer-Kulisse. Als ich schließlich in mein Hotelzimmer wankte, lag Doro schnarchend und noch in ihrem Partydress auf dem Bett. Aber ich war, obwohl es draußen mittlerweile hell wurde, alles andere als müde. Gleichzeitig benommen und voller Kribbeln setzte ich mich auf die verfilzte Couch und guckte Löcher in die Luft. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die vergangenen zwei Stunden wirklich mir passiert waren.
Am nächsten Tag ging unser Flug zurück in die Zivilisation – was im Grunde auch gut so war, denn weder mein Portemonnaie noch meine Leber hätte auch nur einen weiteren Partyabend überstanden. Außerdem hatte ich keine Lust mehr, da zu bleiben. Mein Surferboy hatte sich den ganzen Vormittag nicht blicken gelassen – und mein Himmel-hoch-jauchzend war seit spätestens dem dritten Espresso zu einem zu-Tode-betrübt geworden. Offensichtlich war für ihn die Nacht alles andere als besonders und ich nur eine weitere blondblöde Trophäe seiner Jagdzüge gewesen. Also nichts wie ab nach Hause.
Nachdem Doro und Marie mich vier Wochen lang erfolgreich von meinem Selbstmitleid abgelenkt hatten, stürzte ich mich in meinen normalen Alltagstrott aus Studium und Kellnerei, wurde zum Stammgast in der Staatsbibliothek und hatte wohl nie wieder so gute Noten in den Seminararbeiten, wie in diesem Semester. Doros Lehrerlover war übrigens in den zwei Wochen, die wir uns auf Ibiza durch die Cocktailkarten sämtlicher Bars getrunken hatten, wegen der Liebelei mit einer Schülerin von der Schule geflogen. Von seiner minderjährigen Gespielin (bzw. deren Eltern) vor die Tür gesetzt, gammelte er mit Dackelblick und Dreitagebart stundenlang vor Doros Wohnung herum und bettelte um eine zweite Chance. Ein schlimmer Anblick. Ich glaube, dass sich in dieser Zeit auch Doros abgekühlte Einstellung zu Männern entwickelt hat.

„Woran denkst du gerade, Hase? Ist alles in Ordnung?“ Ingo schaut besorgt auf meinen Teller. Sonst lass ich das Tiramisu nicht so einfach links liegen, sondern löffle es weg, als würde jemand die Zeit stoppen. Heute haben ich mit der Gabel lustige Muster in die braun-weiße Masse gemalt. Witzig, die unterste Schicht sinkt gar nicht ein, wenn man sie als Krönchen oben draufsetzt. „Ach, mir ist das heute irgendwie zu schaumig. Meinst du, die haben auch Eis mit Erdbeeren?“ lächle ich Ingo aufmunternd zu. Dass Tiramisu laut Schwangerschaftsernährung in die Rubrik „böse“ gehört, mag ich jetzt nicht sagen, nachdem Ingo so lieb war, einfach für mich mitzubestellen. Ganz der perfekte schwangere Partner beschafft mir im Handumdrehen frische Erdbeeren auf drei frostigleckeren Eiskugeln aus Luigis Küche. Ohne Sahne natürlich, denn von der wird mir schon beim bloßen Anblick ganz anders. „Du bist ein Schatz, danke!“ Beide aus einer Schale löffelnd plaudern wir weiter. Ingo berichtet von einer komplizierten Blinddarm-OP, die ihn heute um ein Haar seinen Feierabend gekostet hätte. „Na, wenn das nicht super zum heutigen Datum passt“, grinse ich und drücke seine Hand.

Mittwoch, 9. März 2011

5. Der neue Look

„Silbergraublond mit beigebräunlichen Strähnen irgendwie.“ „Etwa Ally McBeal??“ „Nein, nein, also Ally McBeal definitv nicht.“ Laura und Doro haben tatsächlich ihre Mittagspause geopfert, um sich live und in Farbe ein Bild vom Ausmaß meiner Haarkatastrophe zu machen. Ich sitze vor dem großen Spiegel in meinem Schlafzimmer und die beiden betrachten prüfend erst mein Haupthaar, dann mein Spiegelbild, dann wieder mein Haupthaar. „Die frühe Dido“, sucht Laura nach einer möglichst netten Beschreibung. „Also, halt mal was ganz anderes. Aber in keinem Fall schlimm oder so. Nur halt anders.“ fügt sie vorsichtig hinzu. „Gehe ich noch als Blondine durch?“ stelle ich die Frage, vor deren Beantwortung ich mich mehr fürchte als vor einem Date mit Hajo, dem Schleimer aus dem Showroom nebenan. Stille. Doro und Laura gucken sich an, gucken wieder meine Haare an. Zögern. „Ja, doch. Irgendwie schon.“ und „Klar!“ antworten dann plötzlich beide gleichzeitig. Ich fange an zu heulen. Zum vierten Mal, seit ich heute aufgewacht bin. „Pass auf, das ist einfach ein neuer Look. Andere Frauen wechseln dauernd ihren Look! Du müsstest halt nur deine Augen ein bisschen anders schminken, mehr so smokey, weißt schon. Und statt knalligen Sommerfarben mehr die herbstlichen Töne tragen!“ versucht jetzt auch Doro, mich aufzumuntern. „Das sieht dann super geheimisvoll und total feminin aus. Und schau mal, einen Pferdeschwanz kannst du ja immernoch machen.“ Mit beiden Händen rafft sie die viereinhalb längeren Strähnen an meinem Hinterkopf zusammen. Mit all den kurzen Fransen, die mir nach wie vor in die Stirn und über Ohren fallen, sehe ich jetzt aus wie ein schwangeres Double von Renate Künast. Auch Doro scheint die Zopfidee nicht wirklich zu überzeugen, sie lässt hinten wieder locker und wuschelt jetzt stattdessen von unten nach oben alles durch. „Schau, oder einfach mal mehr Volumen rein. Mit ein bisschen Schaum fixiert und schon bist du wieder ganz die freche Tinka!“ Ja, das gefällt mir schon besser. Laura war währenddessen im Wohnzimmer und kommt jetzt aufgeregt mit mehreren Zeitschriften in der Hand zurück. „Schaut mal, Gwyneth Paltrow trägt neuerdings auch eine dunklere Nuance! Und Sarah Connor hatte bei ihrem Comeback eine Frisur wie Nena in den 80ern! Total fransig! Die Aniston: ganz neu mit Bob! Und hier, auf den Laufstegen: Nur Naturblonde, nichts mehr mit Wasserstoff!“ Laura strahlt und legt ihre Fundstücke aufgeschlagen auf den Teppich. Langsam entspanne ich mich. Blättere interessiert in den Magazinen herum und fange sogar fast an, mich für den Bruchteil einer Sekunde über den neuen Look zu freuen. Mann, ich liege voll im Trend! Schaut her, ihr immergleichen Mainstreamweiber da draußen! Mut zur Veränderung! Mut zum Anderssein! Das muss man haben, ha! Ha ha!
Weil Doro und Laura nach eineinhalb Stunden erfolgreicher Betreuung wieder in ihr Berufsleben zurück mussten, bleibe ich allein mit meinem total hippen Look und einem Berg von Zeitschriften zurück. Ich kann gar nicht genug stöbern und kramte aus allen Winkeln der Wohnung (neben der Badewanne, unterm Bett und auf dem Fensterbrett in der Küche habe ich Ingos Ordnungsfimmel zum Trotz auch immer ein paar Glamours, Galas und Instyles liegen) alle verfügbaren Hefte zusammen. Fieberhaft stöbere ich den ganzen Nachmittag nach Stars mit fransiger Frisur (Sarah Connor! Kirsten Dunst! Michelle Williams!) und/oder natürlicher, eher dunkelsilberblonder Haarfarbe (Eva Padberg! Diane Kruger! Sarah Jessica Parker!). Gegen 19.45 Uhr liege ich erschöpft aber glücklich auf meinem Sofa. An der Wand über mir hängen die ausgesuchten Highlights meiner Aktion: Ein Catwalk-Foto, auf dem lauter silbergraublonde Schönheiten die neuesten Kreationen von Michael Kors präsentieren, eine Porträtaufnahme von Dido und zwei Bilder von Jennifer Aniston – vorher, nachher. Außerdem bin ich eben noch in die Drogerie an der Ecke gesaust und habe mir ein paar Basics für mein neues „geheimnisvolles“ Make-up besorgt: einen silbrigschimmernden sowie einen dunkelgrauen Lidschatten, anthrazitfarbene Wimperntusche (wirkt laut Glamour viel geheimnisvoller als Schwarz) und ein Rouge in einer warmen Terracotta-Nuance (schenkt einen gesunden Teint). Die Kleiderfrage konnte ich allerdings unmöglich heute noch lösen. Vor allem in Anbetracht der besorgniserregenden Lage auf dem Umstandsmodenmarkt. Aber die Sachen, die ich neulich mit Maike gefunden habe, könnten durchaus zu meinem neuen Look passen.

Erhobenen Hauptes betrete ich am nächsten Tag den Showroom. Meine Haare sind frischgewaschen und mit jede Menge Schaumfestiger zu einem nahezu perfekten Stylig drappiert, mein Augenaufschlag ist total geheimnisvoll smokey und mein Outfit überaus zufriedenstellend: Pflaumefarbener Stretchrock aus der letzten Kollektion von Bianca (dessen Gummibund ich wegen dem Sechsmonatsbauch direkt auf der Hüfte trage), weiße Wickelbluse von C&A-Mama (extralang geschnitten) und eine lange Baumelkette aus zartrosa Glasperlen. „Wie cool ist das denn?“ ist die erste Reaktion von Yvonne auf meinen neuen Look. „Tolle Haarfarbe, mal was anderes! So frühe Dido irgendwie, nicht schlecht!“ staunt sie. Ich strahle von einem Ohr zum anderen und wachse sofort zwei Zentimeter. Auch unsere Chefin, die ständig nörgelnde Cassandra, scheint positiv überrascht zu sein: „Liebchen, du siehst ja ganz anders aus! Aber ein bisschen mehr Pflege hätten sie dir schon reinmachen können.“ Das ist ihr einziger Kommentar? Wow, das ist durchaus als Kompliment zu bewerten. Mann, bin ich erleichtert! Dabei war ich mir gestern Abend noch so sicher, den Rest meines Lebens unter meiner blaugeblümten Ikea-Bettwäsche verbringen zu müssen.

4. Beim Friseur

Oh, schon fünf Uhr! Wie gut, gleich ist Feierabend. Ich muss heute nämlich unbedingt pünktlich gehen, denn ich habe noch einen Termin beim Friseur! Mann wie ich mich darauf freue! Hab ich mir seit Ewigkeiten schon nicht mehr gegönnt, mir war ja jetzt wochenlang so übel, undenkbar, in diesem Zustand stundenlang in einem warmgeföhnten Friseursalon zu sitzen. Aber heute ist mein großer Tag, hurra! Freue mich unbändig, denn meine von Natur aus eher wenig voluminösen Haare sehen in letzter Zeit noch dünner und irgendwie so richtig platt aus, da kann ich föhnen was ich will. Und die Farbe macht auch nicht viel her. Mit viel Liebe könnte man es „Aschblond“ schimpfen. Wobei hier die Betonung eher auf „asch“ als auf „blond“ liegen müsste. Ist diese grünlich-graue Nichtfarbe, mit der auch Ally McBeal gestraft ist. Allerdings fällt bei einem Körpergewicht von 35 kg und einem Teint wie kurz nach einer Magen-Darm-Grippe quasi-farbloses Haar ja nicht weiter auf. Grün auf dem Kopf und grün im Gesicht quasi. Da ich jedoch das Modell „gesunde Blondine“ bevorzuge, tue ich seit dem ich als Teenie in der Drogerie das Blondiermittel entdeckt habe, alles, um dem Ally McBeal-Look zu entkommen. Ich glaube, dass sogar meine Mutter sich an meine wirkliche Haarfarbe nicht mehr erinnert. Bin im Grunde seit der Pubertät wie durch Zauberhand erblondet. Trage im Sommer „Beachblond“ und im Winter „Honigblond“. Und habe für absolute Notfälle immer (IMMER!) ein aufhellendes Spray im Badezimmerschrank parat stehen, falls mir beim Föhnen urplötzlich ein graugrüner Haaransatz entgegen grinst. Wird auf der Stelle dann weggesprüht. Super Erfindung. Gut, bei dieser Behandlung müsste ich eigentlich regelmäßig die teure Haarkur von Kerastase oder Wella draufklatschen. Ich nehm aber lieber die billige von dm. Oder diese mit den blauen Kügelchen von Nivea. Lass ich dann eine halbe Stunde einwirken – lecker, lecker die durstigen Härchen füttern und salben. Ich finde, dass das an zusätzlicher Pflege völlig ausreicht. Da ich meine Haare meistens mit Unmengen von bunten Spängchen und glitzernden Klämmerchen zu Zöpfen drappiere, fällt die ein oder andere abgebrochene Strähne ja auch nicht weiter auf. Ingo glaubt sogar, das wäre ein ganz raffinierter Haarschnitt, so mit unterschiedlich langen Stufen und so, wie bei Meg Ryan sozusagen. Mir auch recht.
So, jetzt bin ich da. Beim meinem Lieblingsfriseur „nice hair even nicer“ in Schwabing. Gehe da auch so gerne hin, weil ich bei der Gelegenheit noch einen Abstecher in die Hohenzollernstraße machen kann, dem Shopping-Mekka. Hier gibt es die besten Schuhgeschäfte, alle möglichen kleine und große Klamotten-Boutiquen, in denen man ausgeflippte Fummel und die knackigsten Jeans findet, zauberhafte Blumenläden und jede Menge hippe Leute zum Bekucken. Heute bin ich allerdings spät dran. Mist, war wieder nichts mit Bummeln. Ach, vielleicht schaff ich kurz vor Feierabend wenigstens noch die kleine Runde. Als ich den Salon betrete, dudeln mir schon die orientalischen Klänge der neuen Cafe del Mar entgegen. Ach schön, ich freu mich! „Hast du einen Termin?“ mault mich das frischgesträhnte männliche Wesen hinterm Tresen gelangweilt an. Zu schön zum Lächeln oder was? „Äh, ja, um 18.30 Uhr  bei Tanja. (Ist Ihnen schonmal aufgefallen, dass Friseurinnen irgendwie immer Tanja, Sandra oder Tina heißen?!) „Farbe, Schnitt, Pflege?“ taxiert das blasse Nachwuchsfriseurchen mit leicht gerümpfter Nase meinen Oberkopf. Verlegen nicke ich nur. Mann, dass das immer so peinlich ist beim Friseur. Komme mir vor, als ob ich mit moosigen Stummelzähnen zum Zahnarzt gegangen wäre. Oder völlig zugewuchert beim Gynäkologen-Dieter auf dem Stuhl grätsche.
„Einen Moment noch, ja? Kannst dich schon mal dahin setzen. Willste was lesen?“ schiebt mich das zarte Jüngelchen Richtung Fensterplatz. Och nö, ich hasse die Fensterplätze. Da sitzt man immer wie so ein Affe im Schaufenster. In ein schwarzes, muffiges Plastikzelt verhüllt, mit kratzigem Crepesband um den Hals und mehr Alufolie auf dem Kopf, als Familie Walton für Ofenkartoffeln benötigen würden, wird man dann geschlagene zwei Stunden von der vorbei flanierenden High Society Münchens mitleidig belächelt. Und um keinem Vorbeigehendem direkt in die Augen schauen zu müssen, tut man die ganze Zeit angestrengt so, als würde man sich ernsthaft für die Verfugung der Bodenfliesen interessieren. Wenn man Glück hat, sitzt man allerdings so, dass man von seinem Spiegel in einen anderen Spiegel gucken und von dort aus wiederum die vorbeigehenden Leute beobachten kann, ohne dass diese sich beobachtet fühlen! Heute hab ich allerdings Pech, nichts da mit Leute kucken. Haben hier anscheinend umgebaut. Gut, war ja auch seit bestimmt einem Jahr nicht mehr hier – ist mir auf Dauer echt zu teuer. Außerdem, wozu gibt es bitte die Blondiermittelchen aus der Tube? Richtig, damit man das gemütlich zu Hause erledigen kann. Und die Spitzen lass ich mir ab und zu von meiner Freundin Maike stutzen – obwohl sie sich jedesmal fast Pipi in die Hose macht aus lauter Angst, eine Zacke reinzuschnippeln. Heute also nix mit Schaufensterparade. Greife mir daher die Gala und die Bunte und vertiefe mich in die neuesten News von den deutschen B-Klasse Promis. Als ich gerade mitten in dem überaus interessanten Interview mit dem Chirurgen, der dem Guttenberg wohl die Segelohren gestutzt haben soll, bin, taucht meine Friseurin Tanja hinter mir auf. „Farbe, Schnitt, Pflege?“ fragt auch sie mich jetzt, als sie mit gespreizten Fingern durch meine Haare fährt. „Ja genau. Also, Farbe auf jeden Fall, siehst ja den Ansatz! Vielleicht in zwei verschiedenen Tönen, so wie bei Gwyneth Paltrow, das wäre echt cool. Schneiden eigentlich nur die Spitzen, weil ich trag die Haare halt gerne lang. Also so im Zopf. Und Pflege weißt du ja dann am besten,“ brabble ich meine Wunschliste runter. Jetzt zieht sie mir links und rechts zwei fingerbreite Strähnen nach oben und beäugt kritisch deren – zugegebenermaßen – ungleichen Längen. „Sag mal, wann warst du denn das letzte Mal bei uns?“ Gott, warum fühl ich mich in solchen Situationen eigentlich immer so unwohl. Ich mein, ich BEZAHL hier Geld dafür. „Ähm, also, ist schon ein bisschen her, weißt du. Ich war bei einer Freundin in Berlin und hab dort mal was Neues ausprobiert, war ein ganz verrückter Laden. Ja, und dann ergab sich das im Urlaub auch so, da gab es einen ganz tollen Friseur auf dem Kreuzfahrtschiff“, erzähl ich ihr was vom Pferd. In Berlin – und das wissen alle, die mich kennen – würde ich niemals freiwillig einen Friseur aufsuchen! Nicht dass man hinterher aussieht wie Lola rennt. Die Berliner sind ja immer so auf Neukreation und individuelle Subkultur aus, weißte ey? Nein danke, echt nicht. Und auf einer Kreuzfahrt war ich auch noch nie, im letzten Urlaub waren wir zelten an der italienischen Riviera. „Die haben dir die Haare aber ganz schön versaut“, untersucht Tanja meine Strähnen einzeln weiter. „Also schneiden muss ich bei dir ne ganze Menge, du, die sind ja totaaaal kaputt. Welche Pflegeprodukte nimmst du denn zu Hause?“ Die billigen von dm, die so gut nach Kokos duften, will ich schreien. Aber ich flunkere tapfer weiter: „Kerastase, die ganze Serie.“ Ob sie’s mir abnimmt? „Also, wegen der Farbe würd ich halt auch alles ganz neu machen. Sieht fast so aus, als hättest du dir die Strähnen selbst gemacht“, sinniert sie pikiert vor sich hin und streicht mir alle Haare von ganz hinten am Hinterkopf nach vorne ins Gesicht. „Also hier hinten sind die ja gannnnnnz arg dunkel“, nuschelt sie in meinen Nacken. „Und deine Spitzen, schau mal, die sind ja fast Weiß!“ Jetzt hält sie eine Strähne von seitlich vorne auf eine von ganz unten hinten und drückt mich etwas unsanft näher an den Spiegel, auf dass ich das Unglück mit eigenen Augen betrachten kann. „Da müssen wir unbedingt eine Einheit reinbringen“, schließt sie ihr Plädoyer sichtlich entsetzt hinsichtlich so viel Haarkatastrophe auf ein und demselben Kopf ab. Mir stehen längst die Tränen in den Augen. Anstatt, dass ich hier herrlich verwöhnt und betüddelt werde, steh ich im Kreuzverhör und lüge aus lauter Scham mehr, als damals im Sommer 1982, als ich heimlich an Muttis Schminksachen gegangen bin. Aber egal, immerhin werde ich nach Tanjas Kompletterneuerung mit einer Wahnsinnsfrisur hier rausgehen. Ich sehe mich stolz eine Jennifer Aniston-Mähne in die Hohnezollernstraße tragen, in einem glänzenden Honigblond mit Highlighter-Strähnen. Ohne Spliss und ohne Ansatz. Juchuh! Voller selbstwiedereingeflößtem Elan folge ich Tanja an die Waschbeckenfront und lasse mich erst einseifen, dann ausspülen und dann wieder zurück an meinen exklusiven Fensterplatz in der ersten Reihe führen. Dort angekommen, beginnt sie wie Edward mit den Scherenhänden eine wilde Schnippelprozedur auf meinem Kopf. Ich traue mich kaum, zu atmen, aus Angst dabei ein Ohrläppchen zu verlieren. Mein Puls nähert sich langsam einer besorgniserregenden Frequenz. Ob ich gleich überhaupt noch Haare auf dem Kopf hab, die länger als zwei Zentimeter sind?? Ich schließe die Augen und lege unter dem großen Plastikumhang meine Hände über den Bauch, das beruhigt ungemein. Auch den kleinen Bewohner offensichtlich, denn wo’s gerade eben noch eifrig gezappelt hat, herrscht jetzt idyllische Ruhe. Mutter und Kind in gedanklicher Einheit quasi. Ich versuche, mich zu entspannen und auf etwas Schönes zu konzentrieren, so wie es auf der Yoga-CD, die es neulich kostenlos in der Brigitte gab, empfohlen wird. Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Blumenwiese, von prächtigem Klatschmohn und kniehohen Margeritten durchzogen. Mittendrin läuft ein kleines Kind hinter zwei Zitronenfaltern her, lacht und jauchzt fröhlich. Im Hintergrund plätschert ein kühler Gebirgsbach durch saftiges Grün und, ja, ein kleiner gelber Vogel hüpft von Kiesel zu Kiesel, während das Sonnenlicht sich in der Gischt... „So, jetzt kommt die Farbe!“ reißt mich die Stimme von Tanja aus dem Gedanken. Ich starre in den Spiegel. Da wo eben noch einigermaßen lange Haare waren, baumeln jetzt klatschnasse Federn. Auf Schulterhöhe. Vorne und an der Seite noch kürzer. „Ich hab die kaputten Spitzen weggenommen und versucht, links und rechts längenmäßig anzugleichen“, beäugt sie sichtlich zufrieden ihr Werk. Ich schlucke. „Hm, ja, nee, super“, quetsche ich raus. Dann legt sie mir eine Farbkarte auf den Schoß, aus der lauter künstliche Haarpinselchen in allen möglichen Farbnuancen rausbaumeln und bittet mich, auf meine Favoriten zu zeigen. Ich tippe unsicher auf etwas relativ hellblondes und etwas relativ honigliches. „Da bist da aber in der ganz falschen Spalte gelandet. Immer von der Naturhaarfarbe ausgehen, sonst wirken die Colorationen ja völlig unnatürlich!“ belehrt sie mich streng und deutet auf die entsprechende Spalte. „Von Natur aus hast du ja ungefähr das hier.“ Sie zeigt auf einen graugrünen Haarbüschel im unteren Drittel der Farbskala. Ih gitt, so aus Plastik sieht die Farbe ja noch schlimmer aus. Wie ein Stück totes Fell irgendwie. „Also könntest du zum Beispiel dies oder auch das nehmen.“ Sie zeigt auf zwei gelbliche Farbbüschel weiter oben. „Obwohl ich auch ganz toll fände, Hellblond mit Schokobraun zu kombinieren, ist jetzt der absolute Renner!“ SCHOKOBRAUN? Das kann sie doch jetzt nicht ernst meinen! An mir ist NICHTS Schokobraun. Habe blaugraue Augen und blässliche Haut und bin bestimmt nicht der Typ für den schokobraunen Zebra-Look, der von angehenden Popstars gerne zur Schau gestellt wird. „Nee, lass mal, das ist mir jetzt dann doch zu gewagt,“ lenke ich ein und lasse mich stattdessen zu einem ziemlich hellen und - na ja - einem etwas sehr gelbstichigen Blondton, der Tanja zu Folge aber im Ergebnis gaaaannnnz natürlich wirkt, überreden. Während sie hinter mir steht und aus verschiedenen Tigelchen die beiden Farbpampen zusammenrührt, startet sie den typischen Friseur-Smalltalk. Wie ich die aktuelle GNTM-Staffel finde, was ich beruflich mache und wohin ich in den Urlaub fliege. „Die nächsten Monate werde ich nirgendswo hinfliegen, das soll ja schädlich sein“, sage ich und tätschle verträumt meinen kugeligen Bauch. Tanja kuckt erst meinen im Friseurkittel verhüllten Bauch, dann mein Spiegelbild an. „BISTDUETWASCHWANGER????“ kreischt sie mir in mein freigelegtes Ohr. Mann, um ein Haar wär ich jetzt vor Schreck von dem Hochstühlchen gefallen. Alles im Salon ist still, glotzt mich an. Die mit Alufolie behelmten Omis freundlich interessiert, die Friseure dahinter ernsthaft schockiert. „Das hätt’ste ja auch mal früher sagen können! Wenn du schwanger bist, färbe ich nicht!“ keift Tanja wütend weiter, klaubt ihre Farbeimerchen wieder zusammen und verzieht sich wüst schimpfend nach hinten. Unsicher blicke ich in den Spiegel. Alle Friseure schütteln ihre perfekt gestylten Köpfe und machen „ts ts ts“. Hallo?? Was ist denn loooooos? Ratlos und mit nach wie vor tropfendem Vogelhaaren sitze ich auf meinem Fensterplatz und kucke ausnahmsweise mal nach draußen. Sehnsucht überkommt mich. Die Vorbeilaufenden scheinen sich in einer völlig anderen, heilen Welt zu befinden. Sie plaudern und lachen und sehen so herrlich unbekümmert aus. Ach, wär ich doch bloß Shoppen gegangen und nicht zum Friseur, da wär ich mein Geld bestimmt auf angenehmere Weise losgeworden! Aber jetzt sitz ich fest. Erinnert mich an eine Filmszene, in der Kinder auf der Autobahn ein Schild mit „ICH WILL NEUE ELTERN“ an die Scheibe halten. Mir steigen wieder die Tränen in die Augen. „Jetzt ist echt Schluss“, flüstere ich voller Adrenalin und beginne hektisch, an meinem Plastik-Cape zu zupfen. Himmel, wie kommt man denn hier wieder raus? Und als ich nach minutenlangem Gezerre so völlig verrenkt und in der Tüte verfangen auf dem Hochstühlchen balanciere, steht Tanja plötzlich wieder hinter mir. Sie wirkt, als ob sie sich ein Dutzend Globuli und Johannsikrautzäpfchen reingezogen hätte und lächelt mich im Spiegel bemüht ausgeglichen an. „Schau mal, Liebes, wenn du schwanger bist, darf  ich nicht färben“, beginnt sie mit kontrolliert ruhiger Stimme. „Dann darf im Grunde niemand färben, denn die giftigen Chemiekalien gehen ja von der Kopfhaut direkt in deinen Körper und somit auch in den Organismus deines Babys. Das solltest du eigentlich wissen. Gut, manche Friseure sehen halt hauptsächlich ihren Profit und machen das, was die Kundin wünscht. Aber wir hier bei „nice hair even nicer“ bevorzugen eine ganz natürliche Philosophie, legen Wert auf ein ehrliches Verhältnis zu unseren Kunden und ihren Haaren und weisen auch auf die Schadstoffe der Produkte hin.“ Mir bricht der Angstschweiß aus. Giftig also. Ob das auch für die Farben aus der Drogerie gilt?? Ich meine, herjee, wann hab ich denn das letzte mal den Ansatz gemacht? Ich bin im sechsten Monat. Und wenn ich sechs Monate lang nicht geschummelt hätte, würden mir meine graugrünen Haare bereits weit über die Ohren reichen. Der dunkel nachwachsende Scheitel ist aber höchstens einen Zentimeter breit. Ich hab also längst gesündigt. Oh Gott, Oh Gott, OH! MEIN! GOTT! Verzweifelt kucke ich Tanja an. Sie scheint meine Gedanken zu lesen, denn jetzt klopft sie mir leicht auf die Schulter. „Na ja, die Chemikalien müssen ja nicht unbedingt einen Schaden anrichten. Wirklich bewiesen ist nichts. Aber man nimmt immerhin an, dass sie es könnten. Und so rein ying yang-mäßig stört sowas das Gleichgewicht in deinem Körper ja echt ungemein.“ Mein Karma ist also auch dahin. Wieder betrachtet sie kritisch mein mehrfarbiges, immer noch tropfnasses Gefieder. Muss ich jetzt etwa so wieder da raus gehen? Morgen mit rausgewachsenem Ansatz und halbfertiger Frisur im Showroom stehen? „Du, jetzt pass auf, wir könnten eine Tönung auf pflanzlicher Basis probieren. Die ist viel weniger schädlich. Und die kann ich auch als Strähnchen einfärben, so wie wir es ja eh wollten, ohne die Kopfhaut wirklich zu berühren. Wird dann halt im Ergebnis nicht ganz so hell, aber du, so die Naturhaarfarbe zu tragen ist jetzt auch wieder total angesagt! Helles Blond ist ja im Grunde total out.“ Klar, genauso wie gebräunter Teint. Aber trotzdem schmiert sich im Urlaub ja freiwillig keiner mit Sonnenschutzfaktor 50+ ein.

Um 21 Uhr verlasse ich total erschöpft – körperlich, mental und finanziell – den Friseursalon von „nice hair even nicer“. Statt einer honigblonden, gehighlighteten Jenny Aniston trage ich jetzt ein farblich undefinierbares Modell made by Tanja. Statt 90 Euro habe ich 175 Euro bezahlt, denn mehrere Nuancen als lange Strähnen eingefärbt, die individuelle Beratung, Tanjas Überstunde und zwei Pflegeprodukte von Kerastase (konnte vor lauter schlechtem Gewissen keinen Widerstand mehr leisten) haben eben einen stolzen Preis. Und statt seelenverwöhnenden Wellness-Erlebnis stellt sich mein heutiger Friseurbesuch als psychischer Belastbarkeitstest dar. Bin nicht mehr Blond (was bedeutet, dass meine über Jahre hinweg aufgebaute Identität in das Waschbecken von „nice hair even nicer“ gespült wurde), habe mein Kind vergiftet (was bedeutet, dass ich sogar für ein ungeborenes Kind eine absolute Zumutung bin) und mein Monatsgehalt verschwendet (was bedeutet, dass ich mir die rosa Handtasche von Coccinelle ein für allemal abschminken kann). Außerdem bin ich total unterzuckert, weil mein armer schwangerer Körper seit mehr als drei Stunden außer Leitungswasser aus einem Pappbecher und einen alten Kaugummi nichts bekommen hat. Werde vermutlich binnen der nächsten fünf Sekunden im Rinnstein der Hohenzollernstraße zusammenbrechen und bis morgen früh unbemerkt dort liegen bleiben - schließlich haben die Geschäfte ja längst zu und außer mir treibt sich hier weit und breit niemand mehr rum. Als ich mich mit letzter Kraft in meinen hellblauen Fiat geschleppt habe, klingelt das Handy. Ingo. Macht sich Sorgen, wo ich denn wäre, wann ich denn käme. Als ich seine Stimme höre, heule ich hemmungslos drauflos. Was wird er wohl zu meinem neuen Look sagen??? Er kennt mich doch nur Blond (also, ich meine, richtig Blond). „Iiiiiiihhiiiich habe kurze duhuuunkle Haaaaare und daaahaaas Kiiiiiind iiissst totalll verfäääääääääärbt“, schluchzte ich mit einer gehörigen Portion Rotz und Wasser in den kleinen Hörer. „Ach Mäuschen, Du übertreibst schon wieder. Setz dich mal ins Auto und warte auf mich, bin eh grad in der Nähe.“ Bin auf der Stelle ruhiger. Wie gut, dass man in solch schweren Lebenssituationen nicht allein ist. Oder auch nicht gut. Was wird er wohl zu meinem neuen Look sagen??

3. Meine Rettung: Römersandalen

„Tinka, ich rede mit dir! Sag mal schläfst du jetzt schon mit offenen Augen oder was?“ Ach ja, meine Mutter war auf eine Tasse entkoffeinierten Kaffee vorbeigekommen. „Ich habe dich gefragt, ob du  eigentlich gedenkst, irgendwann nochmal zur Arbeit zu gehen. Schließlich kannst du doch nicht ewig hier zu Hause auf der faulen Haut liegen und darauf warten, dass der Klapperstorch vorbeifliegt!“ Hätte mich auch gewundert, wenn sie was Nettes gesagt hätte. Wie’s mir geht oder wie weit ich mit dem Kinderzimmer bin oder so. Aber warum sollte sich auch irgendetwas ändern, nur weil ich ihren ersten Enkel mit mir rumtrage. „Natürlich werde ich wieder hingehen.“ Und zwar an meinem letzten Arbeitstag vorm Mutterschutz, wenn es zum Abschied ein Glas Prosecco und Geschenke gibt, ha! „Aber weißt du, das lasse ich lieber den Dieter entscheiden. Morgen Nachmittag hab ich wieder einen Termin bei ihm, dann werden wir weitersehen. Der hat mich ja auch nicht zum Spaß krankgeschrieben.“ Dieter ist mein Frauenarzt. Seit ich schwanger bin, sind wir per „Du“. Er fand das jetzt, wo wir uns doch so oft sehen, nur angemessen. Neulich wirkte ich ihm irgendwie angestrengt, so wenig entspannt. Ich soll es mir doch mal zu Hause gemütlich machen, die Füße hochlegen und in Zeitschriften blättern. Ist der nicht einfach nur toll?!
„Na, dann ist ja gut. Die im Showroom warten ja schließlich nicht ewig auf dich. Und eins will ich dir sagen: So schnell kommst du nicht wieder an einen so glanzvollen Job!“ Das ist ja mal wieder typisch. Meine Mutter hat mir nur deswegen einen Besuch abgestattet, um sicherzugehen, dass ihre Quelle für schicke Etuit-Kleider und hochgeschlitzte Stretchröcke zum Einkaufspreis nicht versiegt. Ich arbeite seit zwei Jahren als Verkaufsassistentin bei Bianca-Fashion und versuche dort mehr oder weniger erfolgreich, die Einkäuferinnen großer Modehäuser wie auch die der nicht weiter nennenswerten Tante-Emma-Boutiquen aus irgendeinem bayerischen Pusemuckeldorf zu einem Kauf der aktuellen Kollektion zu überreden. Das Ganze muss man sich im Grunde wie eine ständig geöffnete Einkaufsmesse vorstellen. Ungefähr ein halbes Jahr, bevor die Klamotten in den Geschäften hängen, präsentieren wir sie den Kunden. Das meiste davon sind ehrlich gesagt Kopien von dem, was unsere Designer auf den internationalen Laufstegen gesehen haben. Meine Mutter weiß zwar den klassischen Look und vor allem das gute Image, das Bianca-Fashion in der golfspielenden Damenwelt von München, Düsseldorf und Hamburg wie durch ein Wunder unangefochten aufrecht hält, zu schätzen, gibt ihre Euros allerdings lieber beim Friseur oder in der Kosmetikabteilung aus. Daher besorg ich ihr, wo ich kann, Ausstellungsteile der aktuellen Kollektion – im Gegensatz zu mir passt sie mit ihrem Pilates getrimmten Minipopöchen nämlich immernoch in Größe 36. Ich komme da ja mehr auf meinen Vater, bin nicht püppizart, sondern na ja, sagen wir, eher sportlich gebaut. Kräftige Oberschenkel, stramme Waderln, breites Kreuz. Der Vorteil: So lange ich aufpasse, dass meine Mitte nicht zu weich wird (gut, ist jetzt hinfällig, bin eh schwanger), seh ich irgendwie immer aus, als hätte ich morgens schon 2000 m kraulend im Hallenbad zurückgelegt. Hab ich aber nicht. Unter uns gesagt, ich hasse Schwimmen.
Natürlich wäre ich lieber zierlich, dann könnt ich auch diese tollen kurzen Hotpants tragen und oben einen stylischen weiten Pulli aus Seidenstrick, das fänd ich klasse. Aber man muss mit dem klar kommen, was man so hat. Und ich will jetzt auch nicht mit dieser Komplimenterhascherei anfangen, die vor ein paar Jahren in meinem Bekanntenkreis zum neuen Volksport ausgerufen wurde! Kaum dass man sich rein altersmäßig auch nur einen Moment von der 25 entfernt, nimmt der Horror seinen Lauf. Ein normales Gespräch zwischen zwei sich irgendwo auf halber Strecke zwischen 25einhalb und 30 bewegenden Frauen, wird unaufhaltsam von Aussagen wie „Ich kann vor lauter Cellulite ja kaum noch laufen!“, „Ein Wunder, dass mir meine Brüste noch nicht in die Hosentaschen baumeln!“ oder „Die Haut um meine Augen sieht aus wie der Hintern vom Ötzi!“ gespickt. Diese muss frau daraufhin entweder haushoch übertrumpfen („Das musst du ja gerade sagen! Ich hab mittlerweile so viele Besenreiser, dass man denken könnte, ich hätte mir die Straßenkarte der Tour de France auf die Haut tätowiert!“) oder verständnisvoll nickend bemitleiden („Oh ja, ich kenn das, auch ich hab einen Spiegel daheim.“). Nein, also mal ganz unter uns: Ich war mit meiner Figur eigentlich immer ganz zufrieden, auch wenn ich mich seit meinem fünfzehnten Geburtstag stets erfolgreich um alles, was überm Knie endet, gedrückt habe. Mein persönlicher Alptraum: Miniröcke. (Vor kurzem hatten wir im Showroom so einen Aktionstag und alle sollten dasselbe Outfit tragen, und es war unglaublich KURZ. Ich hatte Tränen in den Augen und drei Glas Sekt intus, als ich tapfer die ersten Gäste begrüßte. Unser Dekorateur kam am Ende des Tages zu mir und sagte :“Schätzchen, heute siehst du glatt drei Kilo schwerer aus.“)
Ich sag immer: Man muss ja auch nicht jeden Trend mitmachen! Viel besser ist es, sich einen Stil zuzulegen, mit dem man sich immer gut angezogen fühlt, der die kleinen Schwachstellen kaschiert und die durchaus gelungenen Partien sexy in Szene setzt. Mittlerweile habe ich ein ziemlich sicheres Gespür dafür entwickelt, welche Rocklänge (bis kurz unters Knie oder ganz lang), welcher Schnitt (leicht fließend ist besser als ausgestellt und ruschelig) und welche Jeansform (oben tief- und engsitzend, unten ausgestellt) mir am ehesten schmeichelt. Und bloß nie das Haus mit flachen Schuhen verlassen, nie! Schon ein kleiner Absatz streckt die Optik ungemein. Am besten sind natürlich High Heels, da kenn ich nix, auch kein schlechtes Wetter. Aber der Dieter hat neulich schon mit mir geschimpft, ich soll mir mal ein anderes Schuhwerk zulegen, flach und bequem, damit ich die Balance mit dem dicken Bauch nicht verliere. Und dem Rücken tuts auch nicht gut, das leuchtet mir ja ein. Vorn wird’s immer schwerer und von unten jagen einen die hohen Absätze ins maximale Hohlkreuz.
Je länger ich schwanger bin, desto mehr verliere ich den Spaß an der Sache, das muss ich jetzt echt mal sagen. Erst diese gemeine Übelkeit und dieses ganze Gezeter darum, was man jetzt alles bloß nicht mehr essen darf (Parmaschinken ist böse, Sushi ist sehr sehr sehr böse und von grober Leberwurst oder deftigen Appenzeller wollen wir ja lieber gar nicht erst sprechen!) und jetzt auch noch diese Sache mit den flachen Schuhen. Ich MAG mich nunmal nicht auf flachen Sohlen. Mit Ballerinas seh ich aus wie eine breitere Version meiner Mutter. Und mit Mokassins übrigens auch. Und auf Sneakers fühl ich mich wie ein dicker Teenie. Vielleicht probier ich mal diese neuen Römersandalen, in der Hohenzollernstraße haben mich neulich so tolle im Metallic-Look angelacht. Sind ja sehr angesagt, auch bei den Promis. Aber wer nackte Zehen zeigt, braucht erstmal eine anständige Pediküre und Chanel 505. Ob das geht? Ich meine, ist der Lack nicht giftig?? Muss ich unbedingt gleich in meinem Schwangerschaftsratgeber nachschlagen. Nicht dass das wieder so katastrophal endet, wie neulich mein Besuch beim Friseur…

Dienstag, 15. Februar 2011

2. Löwe oder Jungfrau?


„Also wirklich, Tinka! Was soll denn das heißen, vielleicht zwei Wochen früher? Weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet Löwe statt Jungfrau! Wenn das so ist, musst du dich wirklich auf etwas gefasst machen. Das Kind Löwe und du Krebs, als ob das je passen könnte! Ich sehe da echt Probleme auf dich zu kommen, Liebes.“
Darf ich vorstellen: Ursel, meine Schwiegermutter. Voll in ihrem Element. Ich komme eben vom Frauenarzt, habe meine Mutter bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse sitzen und den Fehler gemacht, ans Telefon zu gehen. Ursel hat nichts Besseres zu tun, als meine Zukunft von der Konstellation  irgendwelcher Sterne abhängig zu machen. Nicht, dass ich nichts für Astrologie übrig hätte, schließlich lese ich auch regelmäßig mein Horoskop. Ich finde es nett, beim Frühstück zu erfahren, dass mir im Laufe des Tages ein Brad Pitt-Mann über den Weg laufen wird, um mit mir wilden Sex im Fahrstuhl zu haben. Oder dass ich mir die heißersehnten High Heels, die ich kürzlich im Schaufenster entdeckt hab, schon sehr bald leisten kann. Aber Ursel nimmt diesen astrologischen Wetterdienst so richtig ernst, richtet ihr gesamtes Leben nach dem aus, was irgend so ein blasshäutiges Himpelmännchen aus den Sternen liest. Sie liebt einfach alles, was damit zu tun hat, von der sekundengenauen Aszendentenberechnung übers chinesische Horoskop bis hin zum Tarot, das uns mit tiefsinnigen Aussagen wie „Eine schwere Zeit liegt hinter Ihnen. Entscheidungen begleiten Sie weiterhin.“ zum Rätselraten auffordert. Entscheidungen begleiten einen doch jeden Tag und andauernd, um das zu wissen, brauch ich kein buntes Kärtchen: Aufstehen oder Weiterschlafen, Billig-Shampoo oder das Teure vom Friseur, Rock oder Hose. Ursel sieht das anders. Und zu beleuchten, wer unter welchem Sternzeichen mit wem wie zu leben (oder zu leiden) hat, ist ihre elementare Lebensaufgabe.
„Ursel, jetzt übertreib doch nicht. Erstens lebe ich nicht auf einer einsamen Insel, auf der ich für den Rest meiner Tage mit dem letzten Löwe-Mann auf Erden auskommen muss, hier geht es um mein Kind. Und zweitens: So schlimm sind Löwen ja nun auch wieder nicht.“ Sie tut ja geradeso, als wären alle Augustgeborenen eine ernstzunehmende Gefahr für die Zivilisation. Ein menschlicher Tsunami. Das Ozonloch der zwölf Tierkreiszeichen. „Tss, wenn Du wüsstest!“ zischt sie und legt einfach auf. Na super. Kann sie sich nicht einfach mal freuen? Sehe bildlich vor mir, wie sie umgehend den Notstand ausruft und alle ihre esoterischen Freundinnen zu einem Beratungsgespräch mit frisch aufgebrühtem Grüntee einlädt. Ich kann echt verstehen, dass der Hannes, Ursels Mann, immer so viele Überstunden macht. Das hält ja kein normaler Mensch aus – ob die immer schon so war und ihn damals nur wegen dem passenden Aszendenten genommen hat? Und er hat sich bestimmt auch noch geehrt gefühlt. Nicht, dass ich den Hannes nicht mögen würde, ganz im Gegenteil. Aber Löwe oder Jungfrau, ist mir doch echt egal!
Ich bin übrigens Katinka. Katinka Brinkmann. Ich bin im sechsten Monat schwanger und habe seit einem halben Jahrhundert meine Füße nicht mehr gesehen...